Im Feld der Arbeitsmarktpolitik findet zur Zeit eine heftige Grundsatzdiskussion statt. Hierzu eine SPIEGEL-Notiz vom 9.9.2024:
„Um die sinkende Tarifbindung zu stoppen, legt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) einen Referentenentwurf zum lange angekündigten Tariftreuegesetz vor. Zugleich will er den Gewerkschaften ein digitales Zugangsrecht zu den Betrieben gewähren und die Möglichkeiten zur Tarifflucht einschränken.
An diesem Montag hat Heil den entsprechenden Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes und weitere Maßnahmen“ in die Ressortabstimmung zwischen den Ministerien gegeben. Der Entwurf liegt dem SPIEGEL vor. Künftig sollen demnach nur noch Unternehmen Aufträge und Konzessionen vom Bund erhalten, die sich verbindlich an die Bedingungen des in der Branche gültigen Tarifvertrags halten. Diese Pflicht soll auch für Nachunternehmer und Verleihunternehmen gelten, die der Auftragnehmer gegebenenfalls bei der Ausführung einschaltet.
Die IG Metall befürwortet das Gesetz intensiv:
„Brücken bauen, Schulen renovieren, Dienstwägen kaufen: Der deutsche Staat vergibt jedes Jahr Aufträge im Wert von vielen Milliarden Euro. Durch dieses Geld verfügt der Staat über eine große Marktmacht. Und diese Macht soll er nun stärker nutzen.
Aufträge des Bundes sollen in Zukunft nur noch bei Unternehmen landen, die ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen und tarifliche Arbeitsbedingungen bieten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dazu ein sogenanntes Tariftreuegesetz einführen – wie es die IG Metall schon lange fordert.
Die Idee dahinter: Wenn der Staat Unternehmen zur Tariftreue verpflichtet, entsteht ein Anreiz für mehr Tarifbindung.
Billig statt sozial
Bislang läuft die öffentliche Auftragsvergabe meist nach dem Motto „Hauptsache billig“: Nur bei rund zwölf Prozent der gemeldeten Auftragsvergaben spielten soziale oder ökologische Kriterien zuletzt eine Rolle. Das zeigen die neuesten verfügbaren Daten des Bundeswirtschaftsministeriums für das zweite Halbjahr 2021.
Ob durch ein Tariftreuegesetz schnell mehr Firmen einen Tarifvertrag abschließen, ist umstritten. „Aber zumindest würde der Wettbewerbsnachteil entfallen, den tariftreue Betriebe heute teils haben, wenn sie bei öffentlichen Aufträgen mit Dumpingunternehmen konkurrieren müssen“, sagt Thorsten Schulten, Tarifexperte bei der Hans-Böckler-Stiftung (HBS).
Weiterer Effekt: Der Bund würde mit dem Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger keine zweifelhaften Geschäftsmodelle unterstützen, die womöglich auf Billiglöhnen oder miesen Arbeitsbedingungen basieren. Und: Wenn die Tarifbindung steigt, steigen auch die Einkommen vieler Beschäftigter. Das stärkt die Sozialversicherung und bringt Steuereinnahmen.
Insgesamt könnte der Staat die Wirtschaft in eine Richtung lenken, die mehr am Gemeinwohl orientiert ist. Die IG Metall unterstützt deshalb das geplante Gesetz: „Tariftreue bedeutet ein Stück mehr Gerechtigkeit und Perspektiven“, sagt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall. „Bundesaufträge dürfen nicht länger an Billigheimer gehen.“
https://www.igmetall.de/tarif/staat-muss-vorbild-sein
Das Thema „Gewerkschaften“ wird in GWP immer wieder behandelt, immer wieder ergeben sich neue Fragestellungen, die für die politische Bildung relevant sind. Bei der Eingabe des Stichwortes „Gewerkschaften“ in die Suchmaske auf der GWP-Startseite gibt das Online-Archiv 27 Fundstellen zurück. Besonders interessant ist ein Text von Hans-Hermann Hartwich aus dem Jahr 2002 mit dem Titel „Das gescheiterte Tariftreuegesetz“. Schon vor über 20 Jahren wurde also versucht, ein solches Gesetz einzuführen. Das Lesen lohnt sich.
https://www.budrich-journals.de/index.php/gwp/article/view/8372