Die Redaktion des „Börsenblatt für den deutcshen Buchhandel“ zitiert einen Offenen Brief von Verleger:innen und Autor:innen zur Gesetzesinitiative der Unionsfraktion im Bundestag mit dem Titel „Zustrombegrenzungsgesetz“ und kommentiert den Entwurfstext:
„Sprache ist Weltsicht“ – Offener Brief zum Begriff des Zustrombegrenzungsgesetzes.
„Zustrombegrenzungsgesetz“ nennt die Bundestagsfraktion der CDU ihre Gesetzesinitiative zur „Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen“. Dass im deutschen Bundestag ein Gesetzesantrag mit einer Metapher dieser Provenienz – gar als offizieller Titel des Antrags – von einer demokratischen Partei eingebracht wird, ist eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Metapher des „Stroms“ bzw.“Strömens“ und „Überströmens“ gehört nicht bloß historisch zum wesentlichen rhetorischen Repertoire des europäischen und deutschen Faschismus des 20. Jahrhunderts – insbesondere des Nationalsozialismus –, auch in der Gegenwart zählt sie zu den gebräuchlichsten demagogischen Instrumenten neofaschistischer, rassistischer und xenophober Bewegungen. Die AfD, der Rassemblement National, die Fratelli d’Italia, die PiS-Partei, die MAGA-Bewegung sowie andere ultrarechte Milieus verwenden „aquatisch-apokalyptische“ Metaphern für ihre inhumane Hetze gegen alles Fremde. Viktor Orbán gab die Metapher bereits 2015 als die wichtigste Kampflosung des neuen ultrarechten Geistes aus: Sicherheit für Leib und Gut ordentlicher Bürger gebe es erst, „wenn die Flut aufgehalten worden ist“.
Evoziert werden Bilder von gewaltigen Strömen und Fluten, von Überschwemmungen, Dammbrüchen, Sturmfluten. Es geht um die Erzeugung von Gefühlen der Ohnmacht und Angst. Angst vor dem Hereinbrechen entfesselter Naturgewalten, die Zerstörung und Vernichtung bringen. Das sind die unbewussten oder vorbewussten Bedeutungen, Konnotationen und Affekte, mit denen die Metapher arbeitet. Alle kennen die Bilder: schreckliche Sturzregen und Unwetter verwandeln liebliche Bäche und Flüsse der Heimat in reißende Monster. Was erzeugt eine Flut jemals anderes als Schäden, Unrat und Leid? Was also – so die wirksame Suggestion der Metapher – erzeugen Flüchtendenströme, die uns überfluten? Mehr noch: Die MigrantInnen werden in der Metapher grundlegend entmenschlicht – sie selbst sind die Verheerung.
((…)) Der Begriff „Zustrombegrenzungsgesetz“ selbst, alles, was er beinhaltet und bewirkt, befindet sich demokratisch gesehen jenseits der geistigen Brandmauer. Das ist der entscheidende Punkt. Die Sprache selbst stellt den ersten Tabubruch dar. Die Gedankenwelt der AfD offenbart den völkischen Nucleus der Metapher. Am Ende geht es um „die Sicherung vor dem Zuströmen artfremden Blutes“, so die nationalsozialistische Erläuterung der Strom-Metapher von 1935. Ein völkisches Deutschland versteht sich als „politische Schicksalsgemeinschaft des Volkes, auf bestimmt umgrenztem Raum, zusammengefasst in arteigener staatlicher Ordnung, geeint durch das Band des gemeinsamen Blutes, gemeinsam erlebter Geschichte und gemeinsamer Kultur“. Jeder einzelne Bestandteil dieser Bestimmung entwirft das genaue Gegenteil unserer demokratischen Bundesrepublik Deutschland, wie sie von unserem Grundgesetz geschaffen wurde.
Der Begriff „Zustrombegrenzungsgesetz“ bzw. sein geistiges wie politisches Konzept hat in einem demokratischen Diskurs über die dringenden Fragen der Migration nichts verloren.
https://www.boersenblatt.net/news/die-sprache-selbst-stellt-den-ersten-tabubruch-dar-363907